Politisches Mandat
Zwischen Fremdbestimmung und Selbstbestimmung
Die
verfaßten StudentInnenschaften sind gesetzlich festgelegte
Selbstverwaltungsorgane, die die Interessen der StudentInnen
vertreten sollen. Aber wie weit gehen diese
Selbstverwaltungsrechte der StudentInnenschaften? Die herrschende
Verwaltungsrechtslehre, begründet immer noch auf den Lehren von
E. Forsthoff, Verwaltungsrechtler schon im Faschismus, sieht in
den eingeräumten Selbstverwaltungsrechten in erster Linie nicht
Partipationsrechte der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane
gegenüber der Gesellschaft, sondern die Steigerung der Effizienz
der Staatsverwaltung. In gewisser Weise kann der Staat auf diese
Weise den Willen der StudentInnen zu hochschulpolitischen
Fragestellungen abfragen, diszipliniert diese aber auch durch
gesetzliche und juristische Vorgaben. So wird den
Selbstverwaltungsorganen ein enger struktureller und
kompetenzrechtlicher Rahmen vorgegeben.
Das Ringen um Demokratie
Bis tief
in die 70er Jahre wurden in den verschiedenen verfaßten
StudentInnenschaften verschiedene demokratische
Partizipationsmodelle praktiziert: So wurden z.B. in den ersten
Nachkriegsjahren an der Uni Münster die AStA-ReferentInnen direkt
gewählt - damals noch unter konservativer Vorherrschaft; ein
Organ wie das heutige StudentInnenparlament war noch nicht
eingerichtet. Später wurde ein Parlament mit einzelnen
Wahlkreisen favorisiert, d.h. den einzelnen Fakultäten standen
jeweils mehrere Parlamentssitze zu, die in fakultätsinternen
Wahlen mit StudentInnen der jeweiligen Fakultäten besetzt wurden.
Mit der StudentInnenbewegung Ende der 60er Jahre übernahmen linke
StudentInnenverbände wie z.B. der SDS die Verantwortung in den
StudentInnenschaften: Seitdem wurden die Formen der demokratischen
Legitimation über Vollversammlungen bevorzugt. So wurden die
FachschaftsvertreterInnen nicht durch Urnenwahlen, sondern durch
den politischen Diskurs auf den Vollversammlungen mit anschließender
Wahl dieser legitimiert. Mit der Einführung des
Hochschulrahmengesetzes Ende der 70er Jahre und der Umsetzung in
Landeshochschulgesetzen wurden die demokratischen
Legitimationswege innerhalb der StudentInnenschaften durch
Festlegung auf die parlamentarische Demokratie kanalisiert.
Aber
auch inhaltlich beanspruchten die bis Ende der 60er Jahre
konservativ dominierten StudentInnenschaften jegliche Kompetenzen:
So wurden (nicht hochschulbezogene) Fackelzüge zur
Widervereinigung etc. durchgeführt und Stellung zu allen möglichen
politischen Fragen in den Publikationen der StudentInnenschaften
bezogen. Erst mit dem Machtverlust klagten konservative
StudentInnen gegen die jetzt links dominierten
StudentInnenschaften - die damalige politische Landschaft ließ
die konservativen HobbypolitikerInnen nicht auf einen politischen
Wechsel innerhalb der StudentInnenschaften hoffen - wegen
rechtswidriger Wahrnehmung des „allgemeinpolitischen Mandats“.
Dieser Rechtsstreit wurde in seiner ersten Runde 1977 mit dem
Verbot des politischen Mandats durch das Bundesverwaltungsgericht
beendet.
Parlamente über alles?
Das
Hochschulrahmengesetz ermöglicht den Bundesländern die Einführung
der verfaßten StudentInnenschaften. Alle Bundesländer - bis auf
Bayern und Baden-Würtemberg - haben diese auch eingeführt. In
den fest Landeshochschulgesetzen sind die Strukturen und
Kompetenzen festgelegt. Ich werde diese am Beispiel
Nordrhein-Westfalens aufzeigen[1]:
Die
nordrhein-westfälischen Hochschulgesetze - wie die meisten
anderen Hochschulgesetze auch - legen die StudentInnenschaften auf
ein parlamentarisches System fest. Höchstes beschlußfassendes
Gremium ist das StudentInnenparlament (StuPa) und ausführendes
Organ ist der Allgemeine StudentInnenausschuß (AStA). Gewählt
wird nach der Verhältniswahl mit Komponenten der Personenwahl.
Eine Selbstbestimmung der StudentInnenschaften auf struktureller
Ebene wird verhindert. So wird den StudentInnenschaften z.B. eine
rätedemokratische Legitimation oder eine direkte Legitimation
durch Vollversammlungen der studentischen VertreterInnen durch
oben genannte gesetzliche Vorgaben verwehrt.[2]
Aber
auch eine direkte Partizipation der StudentInnen an einzelnen
politischen Fragen ist im Endeffekt unmöglich gemacht worden: Ein
breiter Diskurs über einzelne politische Fragen außerhalb der
Organe (StuPa und AStA) als beschlußfassender Disput durch z.B.
Vollversammlungen oder einzelnen Urnenabstimmungen ist fast unmöglich.
Die Gesetzeslage setzt sehr hohe „Ansprüche“ an eine
Urabstimmung. So müssen, ehe diese überhaupt als bindende
Abstimmung durchgeführt werden darf, 10% aller StudentInnen diese
beantragt haben (Für Münster: 4500 Unterschriften) und dann ist
sie auch nur bindend, falls 30% aller (!) StudentInnen (Münster:
13500 Ja-Stimmen) für diesen Komplex gestimmt haben. Eine
Rechtsgrundlage für eine Partizipation am politischen Disput
durch Vollversammlungen ist erst gar nicht vorgesehen. Eine
„Verbindlichkeit“ für Vollversammlungsbeschlüsse werden
durch Selbstverpflichtungen der AStA-tragenden Koalitionen
hergestellt.
Eine
strukturelle Selbstbestimmung wird vom Gesetzgeber also nicht
eingeräumt.
Im spieß-bürgerlichen
Münster fing alles an
Aber
auch auf der inhaltlichen Ebene werden den
Selbstverwaltungsorganen verwaltungsrechtliche Vorgaben gemacht.
So seien nur „unmittelbar und spezifisch hochschulbezogene Äußerungen,
Stellungnahmen und Forderungen“ der Organe der
StudentInnenschaften legal. Aus der sog. Zwangsmitgliedschaft
leitet die Verwaltungslehre eine hochschulpolitische Bindung der
politischen Inhalte und der fiskalischen Aufwendungen der
StudentInnenschaften her. Eine darüber hinaus gehende politische
Betätigung verletze den/die StudentIn in ihrem/seinem Grundrecht
auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG).
In
diesem Punkt währt seit 1994 die zweite und verschärfte Runde
zwischen einzelnen rechtskonservativen Student(Inn)en und den
StudentInnenschaften vor den Gerichten um das politische Mandat.
Mangels politischer Perspektiven auf Seiten der konservativen
Student(Inn)enverbände - seit 1968 sind ihre Möglichkeiten der
Machtausübung aus den ASten heraus marginal - wird auf diesem
Wege linke emanzipative Politik aus den ASten und Fachschaften
heraus torpediert. Begonnen hat alles in Münster: Seit 1994 klagt
hier der „Querulant“ René Schneider: Im September hat er eine
einstweilige Verfügung gegen den münsteraner Uni-AStA
durchbekommen und schüttet seitdem diesen AStA mit Folgeverfahren
(bis jetzt über 20 Verfahren in dreieinhalb Jahren) zu. Andere
Student(Inn)en haben in Bonn, Wuppertal, Marburg, Gießen, Bremen,
Potsdam und an der FU Berlin Maulkörbe gegen ihre ASten
durchgesetzt.
Gerade
in Münster sind hierdurch interessante Stilblüten entstanden: So
sei ein StuPa-Beschluß, der im Mai 1995 die Kriegspropaganda des
türkischen Fernsehsenders verurteilte, da diese das Zusammenleben
der türkischen und kurdischen StudentInnen störe, keine
Hochschulpolitik. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sei
dies „Allgemeinpolitik mit hochschulpolischem Mäntelchen“ und
nicht „real“. Im letzten Sommer verbot das OVG der Fachschaft
Geschichte sogar die „inhaltlich-wertende“ Auseinandersetzung
mit den Studieninhalten: Die Fachschaft hatte kommunistische
ZeitzeugInnen des Faschismus eingeladen, um Geschichte direkt
erfahrbar zu machen. Nach Auffassung des OVGs reiche es, wenn die
Fachschaft Eingaben über Wünsche und Hoffnungen die Lehrinhalte
betreffend an die universitären Gremien tätige.
In Münster
ist es jetzt soweit, daß in erster Instanz - die zweite folgt
aber natürlich noch... - die Klage im Hauptverfahren abgelehnt
wurde, da René Schneider kein Ausbildungsziel mehr verfolge,
sondern freiwillig immatrikuliert sei, um gegen den AStA zu
klagen. Aber ohne Zwangsmitgliedschaft keine Klagebefugnis!
Wie
deutlich wird: Dieses rechtliche Konstrukt ermöglicht es der
politischen Opposition mangels Politikbestimmung auf
demokratischem Wege, als Individuum entgegen allen demokratischen
Regeln demokratisch legitimierte Politik zu verhindern.
„Das
Verbot politischer Meinungsäußerungen läuft im Ergebnis [aber
auch] darauf hinaus, daß nur ein bestimmtes inhaltliches Spektrum
an Hochschulpolitik erlaubt ist: Eine Hochschulpolitik z.B., die
einen Zusammenhang zwischen Bafög-Kürzungen und der
Benachteiligung von Frauen an der Hochschule einerseits und
gesamtgesellschaftlichen Sozialabbau und Sexismus oder - auf einer
allgemeineren Ebene - den Folgen einer kapitalistischen und
patriarchialen Gesellschaft andererseits erkennt, wäre verboten.
Eine Hochschulpolitik aber, die diese Zusammenhänge leugnet, ist
erlaubt.“[3]
Deshalb
müssen die politischen Inhalte von den StudentInnen auf
demokratischem Wege und nicht durch Gerichte und einzelne
durchgeknallte Student(Inn)en bestimmt werden. Das politische
Mandat muß her!
Für
eine wirkliche Selbstbestimmung der studentischen Selbstverwaltung
in politischer und struktureller Hinsicht:
Für
Satzungs- und Finanzautonomie und das politische Mandat für die
VSen!
Jan Große Nobis, Münster
[1] Mit der sog.
Wiedervereinigung wurden in den ostdeutschen Ländern
StudentInnenschaften nach bundesdeutschem Recht eingeführt.
Trotzdem beschritten die ostdeutschen Länder im möglichen
Rahmen eigene Wege.
[2] Trotzdem führen einige
Fachschaften und ASten neben den parlamentarischen Wahlen
Vollversammlungen zur Legitimation durch.
[3] Andreas Keller: Neues aus
der Zwangskörperschaft, Forum Wissenschaft, 4/94
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