"Endlich sagt uns mal Einer, was wir
sind. (..)"
Ist das Recht: Wehrmacht hatte nichts
mit dem Nationalsozialismus zu tun?
Am 25.06.2008 bekam der Bundes- und Landesprecher NRW der
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten Ulrich Sander einen Brief des
Präsidenten des Kameradenkreises der Gebirgstruppe Benkel, er
solle folgende Aussage unterlassen:
"Seit 2002 protestiert eine bundesweite Bewegung Jahr
für Jahr in Mittenwald/Oberbayern gegen das größte
Soldatentreffen, das - indem es vom Kameradenkreis der (NS-)Gebirgstruppe
veranstaltet wird - auch das größte Kriegsverbrechertreffen
ist."
Was störte ihn an dieser Aussage? Bei dem Kameradenkreis
handele es sich, so seine Aussage, "keineswegs um eine
Vereinigung der ‚NS-Gebirgstruppe'". Schließlich seien
die meisten Mitglieder aktive oder ehemalige der Bundeswehr. "Diejenigen
Mitglieder, welche Soldaten der ehemaligen Wehrmacht waren, waren
auch nicht etwa Angehörige einer ‚NS-Gebirgstruppe', sondern
Angehörige von Gebirgstruppenteilen der Wehrmacht, die ja gerade
keine NS-Organisation war."
Die Wehrmacht einschließlich der Gebirgsjäger gehörte also
nicht in das System der nationalsozialistischen (NS - sic!)
Gewaltherrschaft über halb Europa? Der Staat des sog.
"Dritten Reiches" habe etwa nichts, rein gar nichts mit
dem Nationalsozialismus zu tun? Richtig dagegen ist: Die Wehrmacht
war kein Parteiorgan der NSDAP. Das wurde aber auch nicht
behauptet. Aber: Sie war Teil dieses NS-Systems des "Dritten
Reiches". Seit der Wehrmachtsausstellung kann das eigentlich
niemand mehr leugnen. Aber Herr Benkel schafft es dennoch. Herr
Benkel, Sie sprechen die Wehrmacht und Gebirgsjäger der Wehrmacht
von der nachgewiesenen Beteiligung am NS-Terror frei! Herzlichen
Glückwunsch! Geschichtsklitterung? Geschichtsrevisionismus? Oder
was ist das?
Ulrich Sander unterschrieb keine Unterlassungserklärung. Er
antwortete stattdessen: "Im Klartext: Die beiden Säulen
der NS-Gewaltherrschaft waren die Wehrmacht und die NSDAP. Eine
Würdigung der Wehrmacht ist auch eine Würdigung des
NS-Gewaltregimes und des verbrecherischen Vernichtungskrieges. [...]
Die Wehrmacht war nicht nur verstrickt in die sich anbahnenden
Massenverbrechen, sie war sogar ihr Antriebsmotor. [...]
Haben Sie wirklich noch nicht erfahren, was die Gebirgstruppe an
Sühnemaßnahmen, im "Partisanenkampf",
"Bandenkampf", bei Deportationen von Juden in die
Vernichtungslager und von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern
in die Sklavenarbeit angerichtet hat?"
(siehe auch: http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0429_gebirgsja_ger.htm;
Näheres zu den Verbrechen der Wehrmachts-Gebirgsjäger siehe u.a.
auch dort).
Kriegsverbrecher als Mitglieder?
Nachdem Benkel die Wehrmacht vom NS-Terror freigesprochen hat,
spricht er auch noch "seine" Mitglieder von ihren
nationalsozialistischen Missetaten als Gebirgsjäger der Wehrmacht
frei: "Mithin sind ehemalige Angehörige der Wehrmacht
auch nicht Angehörige einer "NS-Gebirgstruppe" gewesen.
[...] Dabei [bei den Mitglieder des Kameradenkreises] handelt
es sich um eine große Zahl unbescholtener Bürger [...]"
Unbescholtene Bürger? Sie, die Kriegsverbrecher der
Gebirgsjäger der Wehrmacht, sind zwar zum großen Teil nicht in
Deutschland verurteilt worden (aber kein Wunder: Hier konnten auch
NS-Marinerichter hohe Staatsämter bekleiden!), aber dafür in
Italien.
Siehe dazu unter anderem
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0369_briefwechsel.htm
und
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0351_scheungraber.htm.
Auch hier Freispruch für die ehemaligen Mitglieder der
Wehrmachts-Gebirgsjäger und jetzigen Mitglieder des
Kameradenkreises? Nein: Einspruch! So geht es nicht Herr Benkel!
Unbescholten? Das Kameradenkreismitglied und ehemalige Mitglied
der Gebirgsjäger der Wehrmacht Scheungraber ist ein in Italien
rechtskräftig verurteilter Kriegsverbrecher: "In einem
Fall wurde nun Anklage [in Deutschland] erhoben, im Fall
des Kameradenkreismitglieds Joseph Scheungraber aus Ottobrunn, den
wir noch 2007 auf dem Hohen Brendten inmitten von Bundeswehr- und
Wehrmachtskameraden angetroffen haben." (Sander).
Einstweilige Verfügung im
Schnellverfahren
Nun, gut. Wäre diese Argumentation des Herrn Benkel eine
allein stehende Meinung eines Ewiggestrigen, könnte sagen:
"Schwamm drüber. Die werden bald aussterben".
Aber: Noch ehe Ulrich Sander antworten konnte, hatte Herr
Oberst a.D. Benkel ein bayrisches Gericht gefunden, dass - ohne
den Antragsgegner Ulrich Sander anzuhören - Recht zu seinen
Gunsten, Benkels, sprach. Im Beschluss des Landgerichts
Nürnberg-Fürth heißt es: "Der streitgegenständliche
Artikel impliziert für einen unbefangenen Leser, dass es sich
beim Veranstalter des Soldatentreffens, also dem Antragsteller, um
einen Zusammenschluss von Kriegsverbrechern handelt ("indem
es vom (..) veranstaltet wird") und der Antragsteller ein
Kameradenkreis der "NS-"Gebirgstruppe ist. Der
Antragsteller hat aber dargelegt, dass diese beide Behauptungen
unwahr sind. Er trägt vor, dass ehemalige Angehörige der
Waffen-SS, insbesondere der Gebirgsdivisionen der Waffen-SS, oder
anderer nationalsozialistischer Organisationen nicht zu seinen
Mitgliedern gehören würden. Vielmehr würden zu den Mitgliedern
auch solche der früheren deutschen Wehrmacht, zum überwiegenden
Teil aber Angehörige der Bundeswehr gehören. Es handelt sich
demnach beim Antragsteller weder um einen Kameradenkreis der
"NS-Gebirgstruppe" noch um eine Vereinigung bestehend
aus Kriegsverbrechern."
Das ehrenwerte Gericht setzt also einen drauf und übernimmt
(Hohes Gericht, habt Ihr da wirklich geprüft?) Benkels
Argumentation. Wenn das Gericht meint, dass die "deutsche
Wehrmacht" keine nationalsozialistische Organisation war,
spricht auch dieses Gericht die Wehrmacht von ihren
nationalsozialistischen Verbrechen frei! Auch diesmal gilt: Die
Wehrmacht war keine Organisation innerhalb des Parteiapparates der
NSDAP, eine verbrecherische Organisation des
nationalsozialistischen "Dritten Reiches" war sie aber
allemal. Staat und Nationalsozialismus waren schließlich auch
nach der Selbstdefinition eins, somit war auch die Wehrmacht
nationalsozialistisch!
"Das mit den Verbrechen war
schlimm, aber das waren nicht wir Deutschen, das waren nur die
wenigen Nazis!"
Ich hatte gehofft, solch hanebüchenen Argumentationen nicht
mehr hören zu müssen (zumindest nicht von staatlichen Organen).
Nun wurde ich eines besseren belehrt. Es funktioniert noch,
staatliche Organe können die Wehrmacht von ihren Verbrechen
freisprechen. Das Bild: "Das mit den Verbrechen war schlimm,
aber das waren nicht wir Deutschen, das waren nur die wenigen
Nazis!" scheint immer noch in den Amtsstuben zu schlummern
und ab und zu wird es herausgelassen. Ist der Schoß noch
fruchtbar, aus dem...?
Jan Große Nobis
PS: Ist obiges Zitat in der Überschrift eines Mitgliedes des Kameradenkreises
eigentlich nicht ein Eingeständnis? |