"Furchtbare Juristen"?
Geldstrafen wegen Störung eines
Nazi-Aufmarsches gegen zwei Antifaschisten
Keine normale Verhandlung ist das am 22. September vor dem
Münchener Amtsgericht: "Es ist der Saal so voll wie selten
am Amtsgericht, und Richter Max Boxleitner lässt sogar zu, dass
Zuhörer stehen. Für niemanden hier ist das eine normale
Verhandlung – denn würde bei einer normalen Verhandlung der
Angeklagte die Zuhörer draußen mit einer kleinen Ansprache
begrüßen? Würde sich bei einer normalen Verhandlung ein
Besucher das Buch „Furchtbare Juristen“ solange vor den Bauch
halten, bis sich der Richter das verbittet? Und würde bei einer
normalen Verhandlung der Angeklagte zu Beginn ein Manifest
verlesen, das anhebt mit den Worten „Dies ist ein politischer
Prozess“? Den Prozess hat der Angeklagte gewollt, gegen einen
Strafbefehl über 1.500 Euro Einspruch eingelegt", schreibt
die Süddeutsche Zeitung am 23. September über diesen Prozess.
Die Angeklagten, die hatten am 30.11.2002 gegen den
Nazi-Aufmarsch gegen die damals in München gastierende
Wehrmachtsausstellung protestiert. Die Nazi-Demo hatten Christian
Worch und Martin Wiese angemeldet. Letzterer gehört zu der
inzwischen verhafteten Neonazi-Truppe, die mehrere Kilo
Sprengstoff gehortet zwecks Durchführung von Anschlägen auf
jüdische, griechische und islamische Einrichtungen - darunter
auch die feierliche Grundsteinlegung für das Neuen Jüdischen
Gemeinde- und Kulturzentrum - hatten.
Hier stehen aber nun Antifaschisten vor Gericht: Der
Maschinenschlosser Christiaan B. hat bei der Demonstration gegen
den Neonazi-Aufmarsch Stadtpläne verteilt, auf denen die Route
der Rechten eingezeichnet war. Das erfülle den Tatbestand der
Störung einer genehmigten Versammlung, so die Staatsanwaltschaft
München. Später wird gegen den ehemaligen KZ-Häftling Martin
Löwenberg, Mitglied im bayerischen VVN-Landesvorstand und
aufgrund seines politischen Engagements vom Oberbürgermeister mit
der Medaille "München leuchtet" ausgezeichnet,
verhandelt: Er soll den Gegendemonstranten zugerufen haben: „Es
ist legitim, ja legal, sich den Totengräbern der Demokratie
entgegenzustellen.“ Ihm wird derselbe Vorwurf gemacht. In den
Augen des Gerichts war dies der Aufruf zu einer strafbaren
Blockade des genehmigten Naziaufmarsches.. Martin Löwenberg hatte
sein Verhalten so begründetet: „Die Nazi-Diktatur war nicht
über Deutschland hereingebrochen, sie war keine unverhinderbare
Katastrophe, sie ist von Menschen gemacht worden und kann auch
daher von Menschen verhindert werden.“ Diese Lehre aus der
Geschichte habe sich im Grundgesetz niedergeschlagen, das weit
höher zu bewerten sei, als die Versammlungsfreiheit von Neonazis.
„Rechtswidrig, wenn auch ohne Erfolg“ nennt der Richter die
Taten: Die Blockade des Nazi-Aufmarsches gelang schließlich
nicht. Verurteilt wurden beide - wegen Störung einer genehmigten
Versammlung und Aufruf zu strafbaren Handlungen: Christiaan B. zu
900 Euro, Martin Löwenberg zu 300 Euro.
"Ich schäme mich für den Rechtsstaat, dass ich hier
stehen muss, um diesen Mann zu verteidigen", hatte
Rechtsanwältin Angelika Lex in ihrem Schlussplädoyer verkündet.
Antifaschistisches Engagement der Bürger sei schließlich
notwendig zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung, wenn
Polizei wie Justiz hierzu offensichtlich nicht in der Lage seien.
Im Polizeiprotokoll über Löwenbergs Rede sei beispielsweise von
einer "KZ-Häftlingskleidung" die Rede gewesen. Ebenso
habe Löwenberg über die "Reichspogromnacht" am 9.
November 1938 geredet. Offensichtlich habe weder der Staatsschutz,
noch der Staatsanwalt oder der Richter dies gelesen. "Wie
kann ich einem Staat bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus
vertrauen, wenn die dafür zuständigen Beamten nicht einmal die
geschichtlichen Grundbegriffe aus dem Unterricht der 3. Klasse
kennen", so die Verteidigerin.
Mit Rufen wie "Nicht in meinem Namen" protestierten
die antifaschistischen Zuschauer gegen dieses Urteil. Mehrere,
darunter auch der Fraktionschef der Münchner Grünen, Siegfried
Benker, wurden daraufhin vom Richter des Saales verwiesen. Am 6.
Oktober steht Stadtrat Benker selber vor Gericht. Auch er hatte im
vergangenen Jahr dazu aufgerufen, den Naziaufmarsch zu verhindern.
Das Buch "Furchtbare Juristen" hatte einer der
Angeklagten in der Verhandlung hochgehalten. Ja, man fragt sich
wirklich, ob diese Richter, die Antifaschisten verurteilen und
gegen Rechte Milde walten lassen, nicht auch unter diesem Titel zu
fassen sind???
Jan Große Nobis
VVN/BdA Münster |
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