„Mit
Provokationen können wir uns einen öffentlichen Raum
schaffen, in dem wir unsere Ideen, unsere Wünsche und
unsere Bedürfnisse hineinlegen können.“
- Rudi
Dutschke |
„BILD
hat mitgeschossen“ - „Enteignet Springer“
Das
Attentat auf Rudi Dutschke vor 30 Jahren
Berlin,
Gründonnerstag, den 11. April 1968: Der rechtsradikale Arbeiter
Josef Bachmann sitzt in seinem Auto vor dem SDS-Büro am Kurfürstendamm
und wartet. Neben ihm auf dem Beifahrersitz eine National- und
Soldatenzeitung. Genau wie die BILD vorher, titelt diese Zeitung:
„Stoppt Dutschke jetzt!“.
Motiviert
von dem Attentat auf Martin Luther King vom 4. April hatte er am
8. April seine Stelle in München, die er erst eine Woche vorher
angetreten hatte, wieder gekündigt. Er wolle nach Berlin gehen -
man werde noch von ihm hören, erklärte er seinen Kollegen. Am
10. verließ er München in Richtung Berlin.
Gegen
16.40 des 11. April erreicht Rudi Dutschke mit seinem Fahrrad das
Büro des SDS. Er will aus dem Büro einige Unterlagen für den
konkret-Redakteur Stefan Aust und in der Apotheke nebenan
Hustensaft für seinen Sohn Hosea Che besorgen. Bachmann steigt
aus dem Wagen und geht langsam auf Dutschke zu. Bachmann fragt:
„Sind sie Rudi Dutschke?“ und Rudi Dutschke antwortet:
„Ja.“. Bachmann reißt ihn darauf vom Fahrrad und eröffnet
das Feuer. Rudi Dutschke überlebt - vorerst! Er erholt sich mühsam
von den schweren Gehirnverletzungen.
Das
Attentat löst heftige Unruhen zwischen StudentInnen und Polizei
vor den Häusern des Springer Verlags aus. Denn gerade Springers
Hetzkampagne (BILD) wird von den StudentInnen für Rudis Tod
verantwortlich gemacht. In München sterben bei diesen
„Osterunruhen“ zwei Menschen.
Wie
kam es dazu? Rudi Dutschke, nach der Kriegsdienstverweigerung 1958
aus der DDR in den Westen gezogen und seit 1961 Soziologie-Student
an der FU, wurde Ende der 60er als antiautoritärer Sozialist zur
Leitfigur der StudentInnenbewegung. Was sich durch diese
StudentInnenrevolte entlud, war der Unwille darüber, daß in den
ersten Bundestagen die Fraktion der Ex-NSDAP-Mitglieder am stärksten
war, führende NS-Mitglieder ihren Weg bis ins Bundeskanzleramt
schafften (Kiesinger) und die fehlende Aufarbeitung der
NS-Vergangenheit. Aber auch die uneingeschränkte Unterstützung
des Vietnam-Krieges durch die BRD war Stein des Anstosses.
Die
mörderische Hetze der Springer-Presse gegen die StudentInnen
hatte schon ihren ersten Höhepunkt erreicht. Am 2. Juni 1967
hatte der Kriminalobermeister Kurras den Studenten Benno Ohnesorg
auf der Anti-Schah-Demonstration, während schon drei Polizisten
mit Schlagstöcken auf ihn einprügelten, hinterrücks erschossen.
Dieser wurde am 21. November 1967 vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung
freigesprochen. Am Tag nach dem Mord an Benno Ohnesorg titelte die
BILD: „Ein junger Mann ist gestern in Berlin gestorben. Er wurde
Opfer von Krawallen, die politisch Halbstarke inszenierten.
Gestern haben in Berlin Krawallmacher zugeschlagen, die sich für
Demonstranten halten. Ihnen genügt der Krawall nicht mehr. Sie müssen
Blut sehen. Sie schwenken die rote Fahne, und sie meinen die rote
Fahne. Hier hören der Spaß und der Kompromiß und die
demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden. Die
Deutschen wollen keine rote und keine braune SA. Sie wollen keine
Schlägerkolonnen, sondern Frieden.“
Was
war aber wirklich geschehen? Am Abend des 2. Juni hatten etliche
Menschen vor der Oper gegen den Besuch des iranischen Schahs Reza
Pahlevis demonstriert. Zuerst sind die sog. Bodyguards des Schahs
auf die DemonstrantInnen los. Später trieben 5000 Polizisten die
DemonstrantInnen auseinander. Benno Ohnesorg wurde auf der Flucht
in einem Hinterhof von
den Polizisten brutal ermordet.
Gastbeitrag
auf friedensbewegung.org:
Warum
musste Benno sterben?
Das
Jugendmagazin elan berichtete im Juli 1967 über den
Mord an Benno Ohnesorg unter oben genanntem Titel. Da mit
dem Bekannt werden von der Stasi-Tätigkeit vom Mörder
Polizeimeister Kurras auch eine Diskussion über die
Verwerflichkeit der 68er-Bewegung aufgeflammt ist, hat
Landessprecher der VVN-BdA NRW
und damaliger elan-Redakteur Ulrich Sander den Beitrag aus
elan Juli 1967 elektrifiziert und die jetzige
Diskussion kommentiert. Hier der Kommentar und der Beitrag
aus elan Juli 1967 als Download
(ca. 8 MB, ). |
Während
sich unter den StudentInnen Ohnmacht breit machte, wurde in ganz
Berlin ein unbefristetes Demonstrationsverbot verhängt. Bei
Springer-Zeitungen und den ASten der Universitäten trudelten Schmähbriefe
ein: „Abgesehen von den wenigen anständigen Elementen, die sich
an diesen Ausschreitungen nicht beteiligten, kann man heute die
Berliner Studentenschaft gleichwertig mit dem Abschaum der
Menschheit betrachten.“ Die schwangere Witwe Benno Ohnesorgs
erhielt Briefe folgender Art: “Liebe Frau Ohnesorg! Der Tod
Ihres Mannes kann nur noch einen Sinn haben, wenn es Ihnen
gelingt, dem Kind, das Sie erwarten, klarzumachen, daß sein Vater
ein Fehlentwickler war.“
Nachdem
Kurras schon freigesprochen worden war, saß Fritz Teufel immer
noch in U-Haft: Ihm wurde vorgeworfen, auf der selben Demo einen
Stein geworfen zu haben. Sein Verfahren sollte am 27. November eröffnet
werden. Dutschke rief die StudentInnen auf, sich zum Prozeßbeginn
des „Terror-Prozesses“ im Gericht in Moabit einzufinden.
Hieraus entwickelte sich ein Demonstrationszug von 600 Menschen.
Vor dem Gerichtsgebäude wurden die DemonstrantInnen durch die
Polizei aufgefordert, die Umgebung des Gerichtsgebäudes zu räumen,
andernfalls würden Wasserwerfer eingesetzt. Nachdem Dutschke mit
einigen DemonstrantInnen versucht hatte, in das abgeriegelte
Gerichtsgebäude zu gelangen, wurden auch die Wasserwerfer
eingesetzt, die Demo somit gesprengt. Später wurde Dutschke aus
einem Flugzeug heraus verhaftet, als er zu einer Veranstaltung in
Bremen wollte, wurde aber auf Geheiß des berliner Senats wieder
freigelassen - man wollte keine Symbolfigur verhaften und damit
die Stimmung noch weiter anheizen. Die „Skandatfotos“ mit dem
Versuch Dutschkes und einiger Anderer, durch die Polizeikette in
das Gerichtsgebäude zu gelangen, gingen durch die bundesdeutsche
Presse!
Mitte
Februar 1968, zum Beginn des von Rudi Dutschke mitorganisierten
Vietnam-Kongresses, verschärfte die BILD den Ton: „Stoppt den
Terror der Jungroten jetzt! Man darf nicht die ganze Drecksarbeit
der Polizei überlassen.“ Das folgenschwere Klima war
hergestellt. Noch kurz vor dem Attentat stand im Treppenhaus zu
Dutschkes Wohnung in großen Buchstaben: “VERGAST
DUTSCHKE!“...
Rudi
Dutschke starb elf Jahre später am Heiligen Abend 1979 an den Spätfolgen.
Aus seinem Exil erst in England und später in Dänemark heraus
promovierte er 1974 mit seiner Arbeit „Versuch, Lenin auf den Füße
zu stellen.“ Sein Mandat als bremer Delegierter zum Gründungsparteitag
der Grünen am 10. Januar 1980 konnte er nicht mehr wahrnehmen.
Jan Große Nobis
Zitate
aus: U. Chaussy: Die drei Leben des Rudi Dutschke, Berlin, 1993 |